21 Oct 2005

Walisische Lieder sind eine Entdeckung wert

Das walisische Label SAIN (das walisische Wort für "Sound"), gegründet 1969 von Dafydd Iwan, Huw Jones und Brian Morgan Edwards, hat einen starken sozialen und politischen Anspruch und ist darauf spezialisiert, CD's mit jungen Sängern und Liedern aus Wales und in walisischer Sprache herauszubringen.

So wundert es nicht, daß die ersten CD's des weltberühmten walisischen Bass-Baritons Bryn Terfel unter diesem Label entstanden sind. 1988, das Jahr, in dem Bryn Terfel das Kathleen-Ferrier-Memorial Stipendium erhalten hatte, erschien seine erste CD. Sein Operndebüt stand ihm noch bevor, und die Zusammenstellung der CD wirkt etwas wie die unzusammenhängende Aneinanderreihung von Vorsingarien. Neben walisischen Liedern von Idris Lewis, R. Vaughan Williams, Eric Jones, Vincent Davies, W. Mathews Williams, Osborne Roberts, W. Bradwen Jones und 2 traditionellen Liedern arrangiert von der Pianistin Annette Bryn Parri finden sich Schuberts "Fischermädchen", Mozarts "Non più andrai", Gounods "Vous qui faites l'endormie", Händels "But who may abide the day of his coming?", Tostis "Ideale" und Franco Leonis "Tally-Ho!". Das mag dramaturgisch seltsam sein, zeigt aber auch die große Bandbreite des jungen am Anfang seiner Karriere stehenden Sängers. Die wunderschöne, kernige und technisch mühelose Stimme klingt auf dieser CD bisweilen etwas erschöpft oder noch nicht ganz ausgereift, was aber den Hörgenuß nicht mindert. Das Booklet ist sehr sparsam gehalten, mit kurzer Beschreibung der Lieder in englisch. Über die teilweise nicht sehr bekannten walisischen Komponisten erfährt man hier nichts.

1990 erschien wieder unter dem Label SAIN die zweite CD von Bryn Terfel mit dem Titel "Cyfrol2-Volume2". Das Booklet ist noch spärlicher als bei dem Debütalbum. Die Herausgeber haben sich teilweise nicht die Mühe gemacht, die Komponisten der einzelnen Stücke zu nennen. Die Zusammenstellung ist ähnlich beliebig wie bei der ersten CD. So finden wir hier die bekannte Arie aus "The Fiddler on the Roof" in walisischer Sprache, drei wunderschöne walisische Lieder von Meirion Williams, Schuberts "Ständchen", eine Arie aus dem Musical "South Pacific", eine Händel-Arie aus "Judas Maccabäus" mit Klavierbegleitung - von Bryn Terfel wunderbar gesungen! -, Lieder von William Davies, W. Albert Williams, John Ireland, Mansel Treharne Thomas und Richard Samuel Hughes, eine Kanzonette von Haydn, die Mantel-Arie aus "La Bohème", Don Giovannis "Serenade" - alles mit Klavierbegleitung. Bryn Terfels Stimme ist wunderschön, in seiner eigenen Sprache vollkommen locker, frei und leicht. Auch die Opernarien lassen die Weltkarriere des großartigen Sängers voraushören. Die walisischen Lieder sind eine Entdeckung wert. Man würde diesen unbekannten Kompositionen nur ein ausführlicheres Booklet wünschen.

Im Jahr darauf, 1991, nahm SAIN mit Bryn Terfel und dem inzwischen weltbekannten Liedbegleiter Malcolm Martineau Schuberts "Schwanengesang" auf. Die Aufnahme ist stimmlich, technisch und musikalisch hervorragend. Bryn Terfel verfügt über eine wunderschön dahinströmende Stimme mit scheinbar unendlichem Atem und müheloser Höhe. Seine Aussprache der deutschen Vokale und Konsonanten ist sehr von der italienischen Vokalfärbung geprägt und bisweilen etwas irritierend. Durch diese seltsame Vokalfärbung bekommt jedes Wort eine große Bedeutung, und es fehlen bisweilen die Zwischentöne und feinen Sprachabstufungen, die wahrscheinlich nur einem Muttersprachler möglich sind. Am Auffälligsten ist dies beim "Abschied", wo das Augenzwinkern oder eine Zweideutigkeit, die man z.B. von Dietrich Fischer-Dieskau kennt, fehlen und Bryn Terfel ausschließlich leidet. Jedes "Ade" singt er sehr bedeutungsschwer. Auch die "Taubenpost" singt er ähnlich schwerfällig und leidend. Wunderschön gelingen Bryn Terfel "Kriegers Ahnung", "Aufenthalt", "Der Atlas" und "Die Stadt". Dort kommt seine schöne kraftvolle Bass-Baritonstimme herrlich zur Geltung. Diese Lieder kommen auch seinem Bedürfnis, in diesem Zyklus ausschließlich zu leiden, sehr entgegen. Das Booklet ist dreisprachig in walisisch, englisch und deutsch und ausführlicher als bei den ersten beiden CD's.

1993 brachte SAIN die CD "Un Canu Caneuon" mit Liedern des walisischen Komponisten Meirion Williams, gesungen von Bryn Terfel, am Klavier Annette Bryn Parri, heraus. Meirion Williams lebte von 1901-1976 und war einer der Verantwortlichen für die Umgestaltung des klassischen walisischen Liedes. Er legte großen Wert auf die Sprache und benutzte die Begleitung als Überhöhung der Worte und Ausdruck des Gefühls. Diese CD enthält Kompositionen von ihm aus 40 Jahren, darunter in Wales sehr bekannte Lieder, die Meirion Williams als junger Mann komponierte, und am Ende den Zyklus "Adlewych", den er als Auftragswerk für den BBC Wales als fast 70-jähriger komponierte. Stilistisch ist Meirion Williams noch ganz von der Spätromantik geprägt. Entwicklungen wie die 12-Ton-Technik sind an ihm vorübergegangen. Das schmälert aber keinesfalls die Kompositionen. Die Kompositionen sind wunderschön und leidenschaftlich und eine Entdeckung und Verbreitung außerhalb Wales' wert! Die Waliser lieben ihr Land und ihre Landschaft und davon handeln ihre Lieder in der walisischen, sehr sangbaren Sprache. Die Lieder sind in wunderschönen Melismen sehr homogen für die Sprache und menschliche Stimme geschrieben. Die Kombination Bryn Terfel / Meirion Williams ist ideal! Bryn Terfels wundervoll kernige Stimme fließt in großen Atembögen dahin, und es ist ein Genuß zuzuhören. Das Booklet ist dieses Mal sehr ausführlich in walisisch und englisch und läßt hoffen, daß möglichst viele Hörer die Lieder von Meirion Williams kennenlernen werden.

Neben den CD's von Bryn Terfel hat Sain 2004 das zweite Solo-Album des jungen walisischen Tenors Rhys Meirion herausgebracht. Rhys Meirion, der Ensemblemitglied der Frankfurter Oper war, singt in diesem Jahr Rodolfo in Sydney und Roméo in Melbourne und wird vom Label mit Bryn Terfel, mit dem er auch schon im Duett gesungen hat, verglichen. Rhys Meirion - ein sehr heller, leichter Tenor mit etwas Luft auf der Stimme - hat sich mit der Auswahl auf dieser CD keinen Gefallen getan. Schön und für seine Stimme geeignet sind die lyrischen walisischen Lieder von Dilys Elwyn Edwards, R. Lowry und Meirion Williams mit Klavierbegleitung. Auch sehr musikalisch und schön singt er "Caro Mio Ben" von Giuseppe Giordani. Leider wurde für einige Lieder und Arien Keyboard- statt Orchesterbegleitung gewählt. Der Klang des Keyboards ist so grauenvoll und irritierend, daß der Gesamtklang der Kompositionen verfälscht wird. Hinzu kommt, daß Rhys Meirion drei Kompositionen des ihm befreundeten Komponisten Robat Arwyn - mit Keyboard- und Chorbegleitung - ausgewählt hat, die musikalisch und textlich unglaublich banal sind. In den italienischen Arien "Torna a Surriento" von Curtis und "Core 'Ngrato" von Cardillo ist das Keyboard so störend, daß es schwerfällt, dem Sänger zuzuhören. Wenn man sich an Rhys Meirions hellen Klang gewöhnt hat, singt er sehr musikalisch, wobei man als Hörer erleichtert ist, wenn er die Höhe als schwer erklimmbaren Gipfel erreicht hat. Beim "Ave Maria" von Schubert - wieder mit Keyboardbegleitung - leidet der Zuhörer mit dem Sänger mit, ob wohl der Atem für die langen Bögen reicht. Das Schlußstück "Ombra Mai Fu" von Händel wurde von der Pianistin Annette Bryn Parri - aus welchem Grund auch immer - arrangiert für Keyboard, Chor und Tenor und dadurch nur banalisiert. Nach Hören dieser CD wünsche ich dem Sänger und dem Label bei der Zusammenstellung des nächsten Programms ein glücklicheres Händchen und Ohr.

Wiebke Hoogklimmer